
Offizielle Kursbeschreibung
„Hast du dich aus Trunkenheit übergeben? Du sollst 15 Tage Buße tun.“ Diese Regelung stammt aus dem Sendgericht des Regino von Prüm (lib. 1, cap. 304) aus dem Jahr 906. Es gehört zur Gattung der Bußbücher ([i]libri paenitentiales[/i]). Das sind katalogartige Zusammenstellungen von Verfehlungen, die mithilfe von Bußleistungen kompensiert werden konnten. Die frühesten Bußbücher stammen aus Irland und England aus dem 6. und 7. Jahrhundert. Durch die angelsächsische Mission wurden sie im weiteren Verlauf auch auf dem europäischen Festland verbreitet. Gemeinsam mit Kapitularien und Synodalakten bilden sie eine Sammlung an Bestimmungen, die zur Regulierung des religiösen Alltags diente und zugleich Deutungshoheit über Vorgänge in der Lebenswelt der Bevölkerung herstellte.
In der Lehrveranstaltung soll dies zum Anlass genommen werden, um über die Zugänge zu diskutieren, die sich mithilfe dieser und weiterer Quellenarten wie etwa Traktaten zu einer Alltags- und Sozialgeschichte weiter Teile der Bevölkerung gewinnen lassen – einer Geschichte „von unten“.
Damit fügt sich die Lehrveranstaltung in eine Forschungsdiskussion um die Chancen und Grenzen dieses Unterfangens. Denn während die ältere Forschung um Dieter Harmening bspw. urteilte, die in Bußbestimmungen fixierten Strafen für pagane Praktiken seien Kopien spätantiker Überlieferungen und „angesichts zeitlich und räumlich anderer Verhältnisse als Fiktion anzusehen“ (1979, S. 318), geht die jüngere Forschung um Ludger Körntgen, Birgit Kynast oder Rob Meens von einer fortdauernden Relevanz solcher Praktiken aus.
Bedingungen zum Scheinerwerb sind regelmäßige körperliche und geistige Anwesenheit sowie eine Präsentation und eine Hausarbeit. Es wird dringend empfohlen, zuvor das Proseminar in Mittelalterlicher Geschichte erfolgreich abgeschlossen zu haben. Darüber hinaus sind Lateinkenntnisse von Vorteil. Ein Moodle-Kurs wird zu Beginn der Vorlesungszeit freigeschaltet.
[b]Quellen und Literatur (Auswahl)[/b]
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[*]Burchards Dekret Digital, ed. Ingrid Baumgärtner/ Klaus Herbers/ Ludger Körntgen, URL: https://burchards-dekret-digital.de/index.html [abgerufen am 26.08.2025].
[*]Collins, David J. (Hg.): The Cambridge History of Magic and Witchcraft in the West. From Antiquity to the Present, Cambridge 2015.
[*]Harmening, Dieter: Superstitio. Überlieferungs- und theoriegeschichtliche Untersuchungen zur kirchlich-theologischen Aberglaubensliteratur des Mittelalters, Berlin 1979.
[*]Hartmann, Wilfried: Das Sendhandbuch des Regino von Prüm (FSGA 42), Darmstadt 2004.
[*]Heiduk, Matthias/ Herbers, Klaus/ Lehner, Hans-Christian (Hg.): Prognostication in the Medieval World. A Handbook, Bd. 1, Berlin/ Boston.
[*]Hersperger, Patrick: Kirche, Magie und „Aberglaube“. Superstitio in der Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 31), Köln/Weimar/Wien 2010.
[*]Jolly, Karen Louise/ Raudvere, Catharina/ Peters, Edward (Hg.): Witchcraft and Magic in Europe. The Middle Ages, Philadelphia, PA 2002.
[*]Körntgen, Ludger: „Bußbücher“, in: Germanische Altertumskunde Online (2021), URL: https://www-degruyter-com.proxy.ub.uni-frankfurt.de/database/GAO/entry/RGA_816_v2/html [abgerufen am 26.08.2025].
[*]Kynast, Birgit: Tradition und Innovation im kirchlichen Recht. Das Bußbuch im Dekret des Bischofs Burchard von Worms (Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter 10), Ostfildern 2020.
[*]Lutterbach, Hubertus: Die Bußordines in den iro-fränkischen Paenitentialien. Schlüssel zur Theologie und Verwendung der mittelalterlichen Bußbücher, in: FmSt 30 (1996), S. 150–172.
[*]Meens, Rob: Penance in Medieval Europe. 600–1200. Cambridge 2014.
[*]Schmitt, Jean-Claude: Heidenspaß und Höllenangst. Aberglaube im Mittelalter, Frankfurt am Main/New York 1993.
[*]Wasserschleben, F. W. H.: Die Bussordnungen der abendländischen Kirche, Halle a. d. Saale 1851.
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- Lehrende: Stephan Franko Ebert